Wie lebt und lernt es sich in einem Land, dessen Bevölkerung nach Jahrzehnten der Fremdherrschaft erneut um ihre Freiheit bangt? Dieser Frage gingen 32 angehende Lehrkräfte und Ausbildende des Studienseminars Leer während ihrer Europa-Hospitationsreise nach Litauen in den vergangenen Tagen nach. Sie trafen auf eine breite Willkommenskultur, auf Engagement für Bildung und Innovation, auf eine leistungsorientierte Schule – und auf vielfältige Formen gesellschaftlicher Stabilität.
Im Mittelpunkt der Reise standen Hospitationen an verschiedenen Schulen in Litauens Hauptstadt Vilnius und in der Stadt Kaunas. Die Referendarinnen und Referendare sowie ihre Ausbildenden wurden unterschiedlichen Schulen und Lehrkräften zugeteilt, sodass die Gruppe insgesamt vielfältige und tiefgehende Einblicke gewinnen konnte.
Empfangen wurden die ostfriesischen Lehrkräfte unter anderem am Petras-Vileišis-Progymnasium und am Simonas-Daukantas-Progymnasium in Kaunas sowie am Vilniaus licėjus in Vilnius. Durch das sogenannte Job-Shadowing konnten sie den Unterricht der litauischen Kolleginnen und Kollegen beobachten, diesen kriterienorientiert analysieren und gemeinsam reflektieren. Neben fachlichen, fachdidaktischen und pädagogischen Aspekten wurden auch soziokulturelle und interkulturelle Besonderheiten thematisiert – ebenso wie der Umgang mit heterogenen und inklusiven Lerngruppen sowie der Einsatz digitaler Werkzeuge. Auch die Rolle von Bildung für nachhaltige Entwicklung war Gegenstand der Gespräche.
Während der Schulbesuche fiel den Teilnehmenden die hohe Leistungsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler auf. Neben klassischen Methoden kamen auch innovative Unterrichtsformen wie Escape-Rooms und videogestützte Präsentationen zum Einsatz. Der souveräne Umgang mit digitalen Tools und das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Lehrkräften und Lernenden wurden vielfach hervorgehoben. Eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Lernen wurde gezielt gefördert – etwa in schuleigenen Laboren, beim Programmieren oder bei der Erstellung von Präsentationen. Bemerkenswert waren zudem die sehr guten Deutschkenntnisse vieler Schülerinnen und Schüler.
Fragen der Nachhaltigkeit spielten auch bei der Erkundung außerschulischer Lernorte eine Rolle, etwa im Besucherzentrum des Regionalparks Kauno Marios. Der Park wurde 1992 gegründet, um die Landschaft des künstlich angelegten Kaunasser Stausees sowie dessen Ökosystem und kulturelles Erbe zu bewahren. Der See prägt die Region mit steilen Ufern, sumpfigen Zonen und einer vielfältigen Flora und Fauna. Besonders die flachen Uferbereiche bieten Lebensraum für zahlreiche Wasservogelarten.
Die von vielen Litauerinnen und Litauern empfundene Bedrohung durch Russland seit dem Angriff auf die Ukraine äußert sich in einer ausgeprägten Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten, die in vielen Bereichen praktische Unterstützung erhalten. Die sicherheitspolitische Lage war auch Thema in Gesprächen mit litauischen Lehrkräften und Vertreterinnen und Vertretern deutscher Institutionen. Bei einem Besuch der Bundeswehr vermittelte Oberst André Hastenrath den angehenden Lehrkräften eindrücklich die Aufgaben der Bundeswehr beim Schutz der NATO-Ostflanke und die Bedeutung der sich im Aufbau befindlichen Panzerbrigade 45 – sowohl für Litauen als auch für Deutschland und Europa. Abgerundet wurde das Bild durch ein Gespräch in der Deutschen Botschaft, bei dem die Gruppe sich über die deutsch-litauischen Beziehungen informieren konnte.
Das Studienseminar Leer führt seit über 30 Jahren Europa-Tagungen im europäischen Ausland durch und ist inzwischen eine akkreditierte Bildungseinrichtung im Rahmen des Erasmus+-Programms. Dank der Förderung durch dieses EU-Bildungsprogramm konnte die Reise nach Litauen mit ihren vielfältigen Hospitationen und Begegnungen einem breiten Teilnehmerkreis ermöglicht werden (UL).